Mutter Erde war verzweifelt. Sie wusste nicht weiter und wandte sich an das Universum: "Universum, ich weiß nicht, was ich noch machen soll, mit den Menschen. Ich kann tun was ich will, sie hören nicht auf mich. Ich schicke ihnen Stürme und Dürren, Erdbeben und Vulkanausbrüche, unlöschbare Waldbrände und Sintfluten, die ganze Landstriche verschlingen. Sie wollen einfach nicht hören."
"Was möchtest Du ihnen denn sagen, Erde?", fragte das Universum interessiert.
Mutter Erde spie aus, was sie quälte und irgendwo auf der Welt fegte ein Tornado über das Land: "Na, dass sie mal schauen sollen, was sie tun. Sie bekämpfen einander und rotten einander aus. Sie quälen Tiere und vermüllen die Meere. Sie zerstören meine Schöpfung!"
"Und damit sie aufhören, gegeneinander zu kämpfen, kämpfst Du gegen sie?" Das Universum klang ein bisschen irritiert.
"Ja!", wollte Mutter Erde brüllen und irgendwo tief in ihr rumpelte es bereits, doch nichts geschah. So irritiert, wie das Universum klang, war sie selbst. In ihrem Herzen wusste sie, dass es so nicht funktionieren konnte, wie sie handelte. "Aber was soll ich denn machen, Universum?"
"Liebe Erde", sprach das Universum und lächelte. "Bist Du nicht die Mutter aller Menschen? Sind sie nicht von Dir gekommen?"
"Ja, und dafür treten sie mich mit Füßen", brummelte Mutter Erde vor sich hin. "Sie hören einfach nicht zu!"
Das Lächeln des Universums wurde noch intensiver, noch verständnisvoller, als es erwiderte: "Du siehst die Menschen, wie sie sich selber sehen. Du siehst, wie sie Krieg um die Schätze des Bodens führen - wie zwei Kinder im Sandkasten, die sich um eine Sandschaufel prügeln. Du siehst wie sie immer noch mehr, noch reicher und besser sein wollen - wie zwei Teenager, die mit dem neusten Smartphone um einen Anerkennung buhlen."
Mutter Erde nickte nachdenklich und irgendwo auf der Welt fingen Wälder an zu brennen.
"Und dann nimmst Du ihnen den Boden mit den Schätzen, wie die Mütter den kleinen Kindern die Sandschaufeln weg nehmen", fuhr das Universum fort: "Und Du nimmst ihnen ihre Reichtümer, wie die Väter die die Mobilgeräte einschließen."
Mutter Erde nickte abermals und an anderen Orten blieben Eis und Schneestürme im Winter aus.
"Aber was wollen die Menschen wirklich?", fragte das Universum eindringlich.
Mutter Erde hob unsicher die Schultern und irgendwo auf der Welt schlug ein Schmetterling mit den Flügeln. "Sie wollen Frieden", überlegte sie laut. "Jedenfalls behaupten sie das immer und zielen mit ihren Waffen aufeinander."
"Ja genau!", rief das Universum ganz aufgeregt. "Und was wollen sie noch?"
"Ruhe?", riet Mutter Erde. "Jedenfalls brüllen sie das einander zu, während sie ihre Fernseher noch lauter drehen und in ihren künstlichen Welten versinken."
"Du bist auf dem Weg!", nickte das Universum so begeistert, dass irgendwo in Weiten ein neuer Stern geboren wurde.
"Sicherheit!", erklärte Mutter Erde bestimmt. "Weil sie einander immerzu Angst einjagen."
Das Universum lächelte sanft: "Ja, Erde, allmählich hast Du es raus."
"Du willst mir also erklären", fragte Mutter Erde ein wenig misstrauisch: "dass die Menschen immer das Gegenteil von dem tun, was sie eigentlich wollen?"
"Brauchen", korrigierte das Universum mit sanfter Stimme. "Die Menschen sind wie kleine Kinder, die immerzu nach etwas zu Essen verlangen, obwohl sie Aufmerksamkeit brauchen. Sie haben noch nicht gelernt, ihre wahren Bedürfnisse wahrzunehmen. Darum lenken sie sich mit anderen Dingen davon ab."
Darüber dachte Mutter Erde einen Moment lang nach und während sie dachte, ließ sie die Menschen einfach mal machen.
"Wenn die Menschen also alles, was sie herstellen nutzen, um sich nach außen abzulenken", sprach Mutter Erde schließlich ihre Gedanken aus: "dann wollen sie tatsächlich in sich sein, in Sicherheit und Ruhe und Frieden?"
"Ganz genau!", jubelte das Universum und irgendwo in den Weiten brach eine Supernova aus. "Die Menschen streben nach Außen um sich selbst zu finden!"
Einen Moment lang sah Mutter Erde das Universum an, als zweifelte sie an den Sinn dieser Worte. Aber vielleicht brauchte sie den Sinn auch gar nicht verstehen, solange funktionierte, was immer dem Universum vorschwebte.
"Du meinst also, wir machen etwas, das die Menschen dazu bringt, sich auf sich selbst zu besinnen", fragte Mutter Erde sicherheitshalber noch einmal nach. "Und was soll das sein?"
"Etwas, das sie dazu bringt, nach Hause zu gehen", erwiderte das Universum und schnippte einen kleinen Meteoriten durch das All. "Etwas, damit sie wieder Zeit miteinander verbringen."
"Und was soll das sein?", wiederholte Mutter Erde.
"Etwas wahrhaft Königliches!", erklärte das Universum und lehnte sich zufrieden zurück.
Mutter Erde starrte das Universum eine Weile verständnislos an. Als das Universum jedoch nichts weiter sagte, meinte sie seufzend: "In Ordnung. Und wann genau wollen wir dieses Königliche unternehmen?"
"Aber Erde", lächelte das Universum. "Schau doch mal hin! Es passiert doch schon!"
Und Mutter Erde sah sich um, wenig überzeugt. "Na toll", murmelte sie, "nun prügeln sie sich um Klopapier, statt um Sandschaufeln."
"Das geht vorbei", winkte das Universum ab. "Schau dort hin."
Und Mutter Erde sah, wie die Menschen in ihren Häusern blieben, anstatt wie Maschinen zu funktionieren. Sie sah, wie Eltern mit ihren Kindern spielten, anstatt sie fort zu geben. Sie sah, wie sie die Natur genossen, anstatt ihren Müll in ihr zu entsorgen.
"Die Luft riecht... sauberer", fiel Mutter Erde verwundert auf und sie atmete tief durch.
"Ja, genau", flüsterte das Universum. "Und schau mal da."
Und Mutter Erde staunte über den blauen Himmel. Sie begrüßte Fischer in Flüssen und Kanälen und Delfine dicht an den Küsten.
"Es ist viel leiser", flüsterte auch Mutter Erde.
Das Universum nickte zustimmend. "Die Menschen wenden sich einander zu. Und Du hast Deine Ruhe. Ist das nicht wahrlich königlich?"
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